EU-Parlamentspräsident Martin Schulz erklärte den gestrigen Tag zu einem historischen Datum. Die EU werde immer die territoriale Integrität der Ukraine verteidigen, interpretierte er das Abkommen extensiv. Im per Video-Liveschaltung mit Strasbourg verbundenen ukrainischen Parlament sagte Präsident Petro Poroschenko, die Ratifizierung besiegle die Entscheidung der Ukrainer gegen die Option Rußland und für die Integration mit Westeuropa. Gleich anschließend beschloß das Kiewer Parlament eine einseitige Erklärung, in der ein moralisches Recht der Ukraine auf Mitgliedschaft in der EU behauptet wird. Sie habe seit dem Zweiten Weltkrieg den höchsten Preis aller Nationen für ihr Recht bezahlt, zu Europa zu gehören, sagte Poroschenko. Welche Nation sich ein entsprechendes Recht während des Zweiten Weltkrieges erkämpft haben soll, führte der Amateurhistoriker nicht aus.
Die Fraktion der »Vereinigten Europäischen Linken« stimmte in Strasbourg gegen das Assoziierungsabkommen. Ihre Kritik ging in zwei Richtungen: Einerseits wurde gefordert, die mit der Assoziierung verbundene »wirtschaftliche Schocktherapie« nicht nur zu verschieben, sondern ganz auf sie zu verzichten; andererseits wurde die kurze Vorbereitungszeit für die Abgeordneten kritisiert. Kritik an der Verschiebung des wirtschaftlichen Teils des Abkommens äußerte aus anderen Gründen auch der polnische Christdemokrat Jacek Saryusz-Wolski, im EU-Parlament als »Berichterstatter« für das Abkommen zuständig. Er nannte dies ein Einknicken gegenüber Moskau, das vom Kreml nur als Zeichen der Schwäche der EU verstanden werden könne. Der noch amtierende EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle hielt solchen Vorwürfen entgegen, daß es ohne diese Verschiebung nicht gelungen wäre, die Ratifizierung überhaupt auf die Tagesordnung zu bringen – ein Hinweis auf offenbar deutliche interne Kritik im EU-Parlament. EU-Handelskommissar Karel de Gucht erklärte, Brüssel behalte sich vor, das Inkrafttreten des Wirtschaftsteils wieder vorzuziehen, falls Rußland seinen Verpflichtungen nicht nachkomme. Welche Verpflichtungen das sein sollen – Rußland ist nicht Partei des Abkommens, und die EU hatte Moskau Konsultationen sogar ausdrücklich verweigert –, erläuterte der Belgier nicht näher.
Das Assoziierungsabkommen sieht eine umfassende Angleichung der ukrainischen Gesetzgebung an die der EU vor. Der Handelsteil, dessen Inkrafttreten verschoben wurde, ist de facto ein Freihandelsabkommen; die EU hatte sich zur Verschiebung entschlossen, nachdem Rußland über 2000 Änderungsforderungen geltend gemacht hatte und offenbar auch die Ukraine um Zeit gebeten hatte, mit Moskau über Übergangsregelungen zu verhandeln. Aus Ausführungen der stellvertretenden Kiewer Wirtschaftsministerin geht hervor, daß die Ukraine andernfalls kurzfristig aus der Freihandelszone innerhalb der GUS ausgeschlossen worden wäre und dort ihre industriellen Absatzmärkte verloren hätte. Nun hat Kiew ein Jahr Galgenfrist.